Leonce und Lena
Stück von Georg Büchner
Premiere 20.08.1994
“Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen” schrieb Büchner an seine überaus seltsame Verlobte Wilhelmine Jaeglé im Jahr 1834.
Spieluhren messen keine Zeit. Mein und Dein, Ich und Es, Sein und Schein lösen einander auf, Wirklichkeit und Witz spielen das Spiegelspiel vom gegenseitigen Verrat. Nichts ist beständig in diesem Versuch über Liebe, Persönlichkeitsverlust und Maschinenpsychologie. Die Automatenmenschen von Leonce & Lena bis zu Robocob liefern den Anschauungsunterricht für die übliche Straffung des kooperativen Verkehrs. Als Modelle für die Nachahmung des Schöpfungsaktes stehen sie vermessen neben dem menschlichen Maß.
Das Einwandern der Maschinenzeit in Körper und Seele beschreibt das Menschliche als berechenbaren Faktor im Kalkül der Witz- und Geldökonomie. Die Selbstreflektion der Maschinen in einer aus der Wirklichkeit herausgefallenen Welt ist mindestens so lehrreich wie das bundesdeutsche Grundgesetz, jedenfalls aber realistischer.
Leonce, das klassische Arschloch im Gruppenbild ohne Ausweg, durchleidet die Flegeljahre des Tyrannen. Zwischen Anfällen von schwerem Pennälerhumor, zwischen Sex, Drugs and Boredom, zwischen verkrüppelten Verhältnissen und idealen Landschaften, erlebt er in seiner Standes – und Ichbefangenheit, was dabei herauskommt wenn man sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt: Gichthände sind kein Grund, für andere Leute einen Finger krumm zu machen.
Das Lied “Hei, da sitzt a Fleig an der Wand”, das die Frankfurter Revolutionäre um 1830 sangen, wenn ein Spitzel die Kneipe betrat ist hier nur noch das Lied eines Narren, ein enigmatisches Zeichenset, aus dem Techno des Biedermeier.
Aufstand, narzißtische Begeisterung übers eigene schreckliche Schicksal, fett im Öl der Bedeutungslosigkeit schwimmende Pointen, pubertäre Weltflucht nach Italien, das Ich-bin-ein-Automat-Spiel: nichts als Paarungsrituale, die folgenlos bleiben, sieht man von Ehe, Syphilis und Totschlag ab.
Superhippe Teens üben den Weltschmerz ein, nicht ohne einen gewissen Willen zum Überbau. Das Aussprechen schmutziger Wörter, von Hiob über Rosa Luxemburg bis Bob Dylan, wirkte schon immer systemstabilisierend. Leonce & Lena ist ein Trauerspiel vom Verrat der Wahrheit durch die Tatsache, daß sie auf der Bühne zur Welt gebracht wird. Wir hatten jede Menge Spaß dabei.
Volker Dietzel
Zu sehen
- Alexander Voigt König Peter vom Reiche Popo
- Dirk Strobel Prince Leonce, sein Sohn
- Cornelia Enghardt Prinzessin Lena vom Reiche Pipi
- Eike Gorezcka Valerio
- Juliane Walcker Gouvernante
- Johannes Kratzsch Hofmeister und Zeremonienmeister
- Sebastian Scharf Präsident des Staatsrates, Schulmeister, 1. Polizist
- Astrid Beier Rosetta
- Axel Kohout Diener und 2. Polizist
- Bernd Plüsch wichtiger Kleindarsteller
Zu spüren
- Volker Dietzel Regie
- Christoph Kuna Musik