Die Bettleroper
Musical von Volker Dietzel und Daniel Musketa nach John Gay
Premiere 20.11.1998 / Spieldauer 100 Minuten / eine Pause
Der Bettler Oper?
„Die Bettleroper“ wurde 1728 am Lincoln’s Inn Fields Theatre in London uraufgeführt. John Gay machte den Text, Johann Christoph Pepusch hat die Partitur beigesteuert, indem er (zu einer eigenen Ouvertüre) bekannte Melodien und beliebte Händelarien verbriet. Das Stück war in seiner Zeit eine radikale Abrechnung mit der etablierten Oper einerseits, andererseits mit der höfischen Gesellschaft. Man kann sie sowohl was den Inhalt, als auch die musikalische Gestaltung anbelangt, als eine Karikatur der Barockoper bezeichnen. Statt Helden oder mythischer Figuren sind die Protagonisten Verbrecher und Prostituierte. Vielleicht war aber gerade deshalb die neue Gattung der “Operette” ein Renner: die Soap-Opera des 18. Jahrhunderts boomte.
War Brecht Gay?
Große Erfolge regen zum Stehlen an. Oder zum Weiterschreiben. Die Bettleroper war ein großer Erfolg, der bis heute fortgeschrieben wurde. Charles Coffey verfaßte „The Beggar’s Wedding“, sowie 1728 “The devil to pay or the wives metamorphed”, wozu auch er allgemein bekannte Melodien ausschlachtete. Auch John Gay versuchte seinen Erfolg mit „Polly“ zu verlängern, was wiederum Peter Hacks dazu bewegte, die „Polly“ an die “Dreigroschenoper” anzuhängen. Bekanntester Bearbeiter ist Bertolt Brecht. Seine „Dreigroschenoper“ hatte als Gelegenheitsarbeit begonnen. Brechts Mitarbeiterin Elisabeth Hauptmann stellte die Übersetzung her. Brechts originärer Beitrag zum Thema ist der Titel des Werkes. Er wollte es „Ludenoper“ nennen. Marta Feuchtwanger fand das blöd und erfand den besseren Titel „Die Dreigroschenoper“. Die Übersetzung wurde dann aber nicht nur von Elisabeth Hauptmann bearbeitet, sondern auch von Kurt Weill. Karl Kraus beteiligte sich mit einer Strophe des Eifersuchtssongs. Brecht schrieb dann noch ganze Gedichte bei François Villon und Arthur Rimbaud ab und fügte sie ein. Kurioserweise hatte man dem Autor des englischen Urbilds 1728 ebenfalls Plagiatsvorwürfe gemacht: Gay habe den Stoff von Bullock gestohlen, der ihn wiederum von Marston entlieh. Anders ging Benjamin Britten vor. Er rödelte an der Pepuschschen Partitur solange herum, bis sie allen Witz verloren hatte und wieder opernhaustauglich war. Tim Krohn schrieb einen Roman mit dem Titel „Dreigroschenkabinett“. Dabei griff er auf den alten Stoff der Beggar’s Opera und auf die Bearbeitung der Brecht-Factory zurück. Entstanden war ein Zeitroman, der das Europa der 90er Jahre mitsamt seinen sozialen und moralischen Erosionsprozessen in den Blick zu bekommen versuchte. Aus Mackie Messer wird darin der Großinvestor Prof. Dr. Magnus Messerschmidt, und als Spielwiese für seine kapitalistischen Verbrechen dient ihm das Deutschland der Wiedervereinigung. Herausgekommen ist ein literarisches Vexierspiel, vielleicht weil Brechts „Dreigroschenroman“ ihm zu dröge heruntererzählt war. Dann ist auch noch das Rockmusical „Blood Red Roses“ von Marc Berry und Michael Korth zu nennen, das sich ziemlich ungeniert bei John Gay bedient, aber außer Rockmusik nichts neues zum Thema beiträgt. Doch auch hier gilt die alte Weisheit, daß das Bessere der Feind des Guten ist. Parodien sind zeitgebunden, und es gibt nichts langweiligeres als eine lustige Anspielung, die man nicht mehr versteht.
Wieso? Weshalb? Warum?
Als John Gay im Jahre 1728 seine Bettleroper schrieb, nahm er ein Suhrkamp-Taschenbuch und schrieb zum großen Ärger der Brechterben die Dreigroschenoper ziemlich wörtlich ab. Das haben sie ihm bis heute nicht verziehen. Theater Apron hingegen freut sich. Sollen die Tantiemenhaie doch bei John Gay anklopfen. Spucke im Gesicht ist nämlich nur lustig, wenn es nicht das eigene ist. Trotzdem wird das Stück in Richtung Publikum gesungsprochen. Wir möchten die Geschichte vom Räuberhauptmann Macheath so zeigen, wie sie gemeint gewesen sein mag: böse und voller zynischer Anspielungen auf das, was zu Gays Zeiten neu war, Goldgräbertum und Ellenbogenmentalität bei Leuten, die sich laut für edel, hilfreich und gut halten.
Mit der Pepuschschen Musik haben wir uns schwer getan. Sein Strauß beliebter Melodien ist heute so unbekannt wie Händelsche Arien im Dudelfunk. Pepusch setzte aber nicht nur auf den Wiedererkennungseffekt, sondern auch auf den Spaß am Spiel mit dem Medium Oper. Wir standen vor der Frage, wie man den Pepuschschen Geist rettet. Wahrscheinlich nicht, indem man seine Musik spielt. Deshalb haben wir, um Herrn Pepusch zu ehren, nur einige seiner Parodien zitiert und uns ansonsten an heute bekanntes GEMAfreies Material gehalten. Aber wie parodiert man die Avantgarde der Oper? Mikrochromatik, Klangflächen- und Zeitschichtenexperimente, variable Metren und amorphe Zeitstrukturierung sind auch in der Parodie eher weniger lustig. So entschieden wir uns für bekannte Melodien im volksliedhaften Ton. Konservativ und fröhlich. Die Wahl der musikalischen Mittel hatte in jedem Fall der unpassenden Wortinterpretation, der Verdeutlichung der Fallhöhe, der Parodierung und der Entstellung des hohen Sinns bis zur Kenntlichkeit zu dienen.
Danke!
Wir danken ivy Heimbach und Katrin Schön von der Gefängnisschneiderei für die Einkleidung unserer Frauen, Stefan Grätz für die exakt achteckigen Würfel und Jan David für das wundervolle Licht. Wir danken dem neuen theater Halle für die vielseitige Unterstützung.