Das Versteck der Bronskys
Szenische Lesung von Volker Dietzel mit Kathrin Erbert, Alexander Terhorst und Ulli Knapp
Premiere 08.11.1991
Als eben gegründete Theatergruppe hatten wir die Idee, dem Zeitgeist etwas entgegenzusetzen. Um den 9. November 1991 sprach jedermann von etwas, das sich “deutsche Einheit” nannte. Die Mehrfachbelegung eines Datums favoritisiert das jeweils letzte, weshalb wir uns dachten, es wäre nett von uns, wieder einmal an den 9. November 1938 zu erinnern.
Wir luden die Hallenser zum Tor der alten Synagoge am Großen Berlin, borgten uns von einer älteren Dame etwas Strom, stellten zwei Mülltonnen auf und zogen “Warten auf Godot” dem Anlaß angemessen durch den Kakao.
In einer szenischen Lesung berichteten wir vom jüdischen Ehepaar Bronsky und wie sie die Hitlerzeit in der Bernburger Straße 31, Hinterhof, in zwei Mülltonnen überlebten. Die Bewohner des Hauses waren vom passiven Widerstand, leerten ihren Müll über den Köpfen der Bronskys aus und verrieten sie nicht. Auch die Müllmänner, ehemalige Kommunisten, hielten dicht. Nur einmal wurde es gefährlich: Eines nachts kam ein SA-Mann mit seiner Freundin in den Hof, schob mit ihr auf den Mülltonnen eine Nummer und pinkelte anschließend dagegen. Aber auch sein Mädchen verriet die Bronskys nicht.
Dieses Hohelied auf den Widerstand innerhalb einer Diktatur fanden aber nur wir irgendwie lustig. Zeitgleich fand um die Ecke ein Aufmarsch von Neonazis statt, so daß wir danach schnell unser Stromkabel wieder einrollten, die Mülltonnen an ihren Platz zurückstellten, kontrollierten, ob sich vielleicht niemand darin versteckt hielt – und in die Kneipe feiern gingen.
Das war der furiose Auftakt von “staatstheater arbeitslos”, ein Auftakt, der die Ästhetik des investigativem Sarkasmus begründete, und der wir uns bis heute verpflichtet fühlen.
Zu sehen
- Katrin Erbert Szenische Lesung
- Alexander Terhorst Szenische Lesung
- Ulli Knapp Szenische Lesung
Zu spüren
- Volker Dietzel Text und Regie